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Nicholas Wolterstorff reflektiert über die christliche Hoschulausbildung

Der Blick über den Tellerrand bereichert ja bekanntlich. In Rethinking Christian Higher Education1 untersucht Nicholas Wolterstorff die Entwicklung der christlichen Hochschulen in den USA. Aus dieser Geschichte lässt sich auch etwas für die Praxis christlicher Schulen in Deutschlang lernen.


Das 19. Jahrhundert war der Aufbruch zur Gründung vieler kirchennaher Hochschulen (church-based colleges) in den USA. Kirchen und Staat wurden sich zunehmend der Bedeutung von Bildung bewusst. Der Grund für die Gründung christlicher Hochschulen lag in der Ausbildung des klerikalen Nachwuchses. SO dominierte in dieser Zeit die Zahl der konfessionellen Hochschulen, während die Bildung im Primar- und Sekundarbereich vorrangig in staatlicher Hand lag.
Die Situation änderte sich nach dem zweiten Weltkrieg. Die staatlichen Universitäten nahmen an Größe und Bedeutung zu. Die kirchennahen Einrichtungen wurden in den Hintergrund gedrängt. Ihre Reaktion war, dass sie von nun an das Kleine und Beschauliche (smallness) feierten. Und da in den staatlichen Universitäten die freien Künste (liberal arts) nur am Rande vertreten waren, wählten die kirchennahen Hochschulen die freien Künste zu ihrem Schwerpunkt.

Welches Selbstverständnis nahmen die christlichen Hochschulen für sich an?

Die Antwort auf diese Frage hängt zu einem großen Teil mit der 'öffentlichen Frömmigkeit' (public piety, Richard Neuhaus) zusammen, die aus einem komplizierten System aus nationalen Riten, Ritualen und Symbolen besteht. Es ist eine Art moralisch-kulturelles Werteverständnis. Jüngst hat man es auch als die amerikanische Zivilreligion (American civil religion) bezeichnet.
Diese öffentliche Frömmigkeit unterschied sich von den klassischen Religionen. So sind Washington und Lincoln anerkannte Figuren des Ersteren, aber nicht als 'Heilige' in irgendeiner Religion anerkannt. Es steht aber fest, dass es eine Interaktion zwischen dieser allgemeinen Frömmigkeit und den einzelnen Glaubensrichtungen gibt. Auf diesen Interaktionsprozess wirken nun zwei Kräfte ein:

  1. Die Dynamik einer kreativen Gemeinsamkeit (commonality). Die allgemeine Frömmigkeit ist stets einem Wandel unterzogen und es entstehen regelmäßig kreative Neuerungsprozesse. Die Teilnehmer dieses gesellschaftlichen Prozesses versuchen nun, mit diesen Veränderungsprozessen, unabhängig von ihrer eigentlichen Religion, Schritt zu halten.
  2. Die Dynamik der Akkommodation (accommodation). Diese wirkt beständig auf die Religionen, so dass sie sich der allgemeinen Frömmigkeit anzupassen versuchen. Und wenn Christen heute keine Spannung zwischen ihrer Religion und Gesellschaft empfinden, liegt die Ursache in der gegenseitigen Akkommodation. Es gibt nämlich keinen wesenhaften Unterschied zwischen der öffentlichen Frömmigkeit und dem religiösen Christentum.

In der letzten Zeit ist in vielen Kirchen jedoch die Sicht gereift, die einen ernsthaften Konflikt mit dieser Art von Frömmigkeit erkennt. Und in vielen Gemeinden nimmt die Kritik gegenüber der amerikanischen Kultur bzw. der allgemeinen Frömmigkeit zu. Diese Einschätzung fordert wiederum die kirchennahen Hochschulen heraus, ihre Art der Bildung neu zu definieren. Die Anpassung an die Mehrheitsgesellschaft überzeugt nicht mehr, so dass gerade heute ein Bedürfnis nach einer neuen Vision und Sendung kirchennaher Hochschulen besteht.

Was könnte eine solche Vision aussehen?

Man kann die Berufung der Kirche bzw. der Gemeinde in der Welt mit drei Begriffen umschreiben: (1) Die Gemeinde soll Zeugnis sein (witness). (2) Die Gemeinde ist berufen zum Dienen (service). (3) Die Gemeinde ist herausgefordert, das neue Leben vorzuleben und evident zu machen (give evidence of the new life).
Das wahre Motiv für eine christliche Hochschule besteht also darin, dass sie nicht für sich existiert. Sondern diese Hochschule ist vielmehr ein Projekt von und für die christliche Gemeinschaft, damit diese ihre Berufung in der Welt leben kann. Wenn das stimmt, erfordert dies eine alternative Pädagogik. Es müsste eine Pädagogik angewandt werden, die der Berufung der Kirche in der Welt Rechnung trägt.

Was sind nun die pädagogische Implikationen hieraus?

Eine solche Pädagogik impliziert sechs große Bereiche, die entfaltet werden müssen.

  1. Wir sollten eine der christlichen Hochschule angemessene Pädagogik erarbeiten. Mit Pädagogik ist gemeint, „how we teach what we teach“. Es scheint, dass hier noch wenig Mühe investiert wurde. Und Konzepte, die in der Praxis bekannt sind, machen Anleihen bei fraglichen Geistesströmungen.
  2. Wir müssten ein der christlichen Hochschule angemessenes Curriculum entwickeln. Damit meine ich eine Struktur aus Pflicht- und Wahlfächern. Hier haben wir noch nicht ausreichend nachgedacht und gearbeitet.
  3. Wir müssten eine der christlichen Hochschule angemessene Struktur entwickeln. Hier haben nur Wenige überhaupt einen Gedanken verschwendet, wie z. B. in einem solchen christlichen Setting mit Macht und Verantwortung umzugehen ist.
  4. Wir müssten das, was wir lehren, für das Evangelium empfänglich machen.
  5. Wir müssten intensiv über den Ort und die Rolle der Anbetung innerhalb einer christlichen Gemeinschaft nachdenken.
  6. Wir müssten die Grundprinzipien für die Pädagogik erarbeiten, indem wir fragen, was ein solches Lernen mit dem Leben zu tun hat. Hier müssen wir fragen: Was ist unser Bild eines erfolgreichen Absolventen? Das ist eine zentrale Frage.

Quellen:

1 Wolterstorff, Nicholas (2004). "Rethinking Christian Higher Education" in Educating for Shalom. Essays on Christian Higher Education. Grand Rapids: W. B. Eerdmans. S. 3-9.

Ansprechpartner

Heinrich Wiens
Tel.: 05231 9216912
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Anschrift

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