„Come in and reach out!” – EU-finanziertes Projekt macht litauisch-deutschen Austausch möglich
Im Rahmen von Erasmus plus konnten das Christliche Gymnasium Vilnius (Litauen) und das August-Hermann-Francke-Gymnasium (Detmold) einen Austausch durchführen, um gemeinsam über ihre jeweiligen historischen Erfahrungen nachzudenken und daraus zu lernen. Die Projektleitern Sarah Kruse, Englisch- und Geschichtslehrerin am Detmolder Gymnasium, sowie ihre litauische Kollegin Rasa Mardosaite haben die Schulpartnerschaft im Jahr 2020 ins Leben gerufen. Ihnen und allen Unterstützern ist es wichtig, Brücken zu bauen, Freundschaften entstehen zu lassen und eine gemeinsame Basis aufzubauen – und das ineiner globalisierten und sich schnell verändernden Welt, worauf der Projektname „Come in and reach out!“ Meeting communicating and working open-mindedly in a globalizing and developing world hinweist.
Hier ein paar persönliche Eindrücke, bevor du weiterliest:
„Wenn ich an die Zeit in Litauen denke, dann habe ich vor allem ein ganz konkretes Bild vor Augen: ein Land, das immer noch nachhaltig von den Zeiten der Sowjet-Union geprägt ist und noch mitten in der Aufarbeitung der schicksalhaften Zeiten steckt, während es sich wieder demselben Unterdrücker gegenübergestellt sieht.
In Deutschland vergessen wir oft, dass das Ende der Sowjet-Union erst lange nach Ende des 2. Weltkrieges eintraf. Erwachsene Litauer jeglicher Generationen haben alle persönliche, teils traumatischen, Erfahrungen gemacht und es ist ihnen ein Herzensanliegen, dass sich die Vergangenheit nicht wiederholt. Egal ob beim Museumsbesuch, der interaktiv-schauspielerischen Darstellungen im Sowjet-Bunker oder bei Gesprächen mit den Lehrkräften der Vilnius Christian School wurde immer wieder betont, wie real die Bedrohung für die Menschen vor Ort ist. Die Furcht der Menschen war deutlich spürbar, denn mit ihr einher ging immer die eindringliche Bitte, an die Litauer in der aktuellen Situation zu denken, zu helfen, wo es geht, und den Propaganda-Lügen, die verbreitet werden, keinen Glauben zu schenken und sie aufzudecken.
Es ist schwer, Worte für das zu finden, was wir erlebt haben, geschweige denn für die Gefühle, die uns bis heute beschäftigen.
Es war eine sehr prägende und lehrreiche Zeit, die uns durch die unglaublich große Gastfreundschaft der litauischen Lehrkräfte nur noch bereichernder war und uns wohl für immer in unseren Erinnerungen erhalten bleiben wird.
Lolita Klein, Englisch-Lehrkraft
„Drei Tage Litauen war nicht genug, um das Land und die Menschen richtig kennen zu lernen. Aber die Sachen, die ich mitnehmen durfte, werden wahrscheinlich für immer in meinem Herzen sein. Trotz den vielen und großen Unterschieden, durfte ich sehen, wie schön dieses Land eigentlich ist. Dadurch, dass man seine eigene Komfortzone überschreiten musste, sind wertvolle Erinnerungen und Freundschaften entstanden. Und die wichtigste Sache, die ich gelernt habe, ist, dass der Glaube verbindet und Menschen zusammenbringt.“
Steffi, Schülerin des Geschichts-Lks (Q2)
„Müsste ich den Austausch in drei Worten zusammenfassen wären diese wahrscheinlich: einzigartig, intensiv und erlebnisreich.
Die Vielfalt der Ausflüge und Aktionen hat mir sehr gefallen. Während wir viel gelernt haben, hatten wir trotzdem Zeit, die Stadt Vilnius mit ihren vielen Kirchen zu erkunden und die litauischen Schüler besser kennenzulernen. Sei es beim gemeinsamen Fußball gucken, Tischkicker spielen, Kochen oder einfach beim Unterhalten; wir haben uns alle sehr gut verstanden und einige neue Freunde gefunden! Am Ende war man wirklich eine Gruppe, nicht nur viele kleine!
Auch die verschiedenen Aktionen haben viele neue Sichtweisen auf die geschichtlichen Themen gegeben und teilweise ganz neue Geschichten offenbart, die man als Deutscher beispielsweise noch gar nicht so kannte.
Sehr gut gefallen hat mir auch, dass wir nicht nur stumpf Informationen bekommen haben, sondern diese beispielsweise in dem Bunker auch live (mit)-erleben konnten.
Falls es so eine Möglichkeit noch einmal gäbe, würde ich definitiv noch einmal mitmachen und empfehle so einen Austausch auch allen anderen Schülern! Eine bessere Möglichkeit, Lernen mit Freunden und Erlebnissen zu verbinden, gibt es nicht.
„Come to Lithuania and learn about ideologically, politically and systematically planned repressions during Soviet time”
So lautet der Projekttitel für den Austausch nach Litauen. Die eigene Geschichte zu verarbeiten und mit den siebzehn Geschichts-Leistungskurs-SchülerInnen und drei Lehrkräften aus Detmold zu teilen, war ein Anliegen der zwölf OberstufenschülerInnen des Gymnasiums in Vilna.
Bei der Ankunft in Vilna wurden die Detmolder überaus herzlich empfangen, u.a. in einem Spalier mit Händeabklatschen. Überhaupt fanden sich alle schnell zusammen in gemeinsamen Workshops. Dabei wurde die Litauer Vergangenheit vor der Wende 1990/91 thematisiert
und Formen des Widerstands in den 80er Jahren gegen die sowjetische Herrschaft lebendig vor Augen geführt. Natürlich durfte auch das Kulinarische nicht fehlen: ein gemeinsames Koch-Event am Abend rundete den ersten Tag ab.
Den Höhepunkt bildete der zweite Tag mit einem Besuch in einem sowjetischen Bunker nahe der Hauptstadt. Hier wurde die Erinnerung an die frühere Besatzung in der Weise hochgehalten, dass Szenen von Verhören und Einschüchterungen so authentisch reproduziert wurden, dass den Gästen aus Deutschland ganz anders wurde. Obwohl allen Beteiligten klar war, dass es sich um nachgestellte Situationen handelte, bewirkten die originale Ausstattung und das Gebaren der gekonnt einstudierten Repressalien eine tiefe Betroffenheit. Oder war da sogar eine kleine Träne im Auge…? Egal, alle waren total erleichtert, als sie wieder an der frischen Luft waren.
Daneben war selbstverständlich auch Zeit für eine Stadtbesichtigung, und einige ließen es sich nicht nehmen, ein Lokalderby im Fußballstadion von Vilnius zu sehen.
Der letzte Tag stand ganz im Zeichen der weiteren vertiefenden Begegnung, wozu auch der Besuch eines Gottesdienstes in einer internationalen Gemeinde beitrug. Lolita Klein, eine der Lehrkräfte, die die SchülerInnen begleitet hat, fasst die Zeit so zusammen: „Es ist schwer Worte für das zu finden, was wir erlebt haben, geschweige denn für die Gefühle, die uns bis heute beschäftigen. Es war eine sehr prägende und lehrreiche Zeit, die für uns durch die unglaublich große Gastfreundschaft der litauischen Lehrkräfte nur noch bereichernder war und uns wohl für immer in unseren Erinnerungen erhalten bleiben wird.“
Alles in allem hinterließ der Besuch starke Eindrücke von einem Land, welches als Demokratie noch recht jung ist und dabei ist seine Identität in der Orientierung nach Westen zu finden. Steffi Klassen, eine Schülerin des Geschicht-Lks, fasst es wie folgt zusammen: „Trotz den vielen und großen Unterschieden, durfte ich sehen, wie schöne dieses Land eigentlich ist.“
„Come to Germany and learn about ideologically, politically and systematically planned repressions during the Second World War”
Auch der deutsche Projekttitel zeigt, dass das Lernen übereinander und miteinander im Vordergrund steht und stand. So waren im Anschluss an die Reise nach Litauen die litauischen SchülerInnen und Lehrkräfte eingeladen, Detmold und das AHF-Gymnasium kennenzulernen. Sie verbrachten einige Tage vor Ort und konnten nun ihrerseits in die Geschichte, Kultur, Prägungen und Werte eintauchen.
Die Gruppe besuchte unter anderem gemeinsam mit den Detmolder Schüler- und LehrerInnen das Museum für russlanddeutsche Kulturgeschichte, in dem sie den neu entstandenen Secret Escape Room ausprobieren konnten. Hier wurde einigen SchülerInnen auch ein Blick hinter die Kulissen des Escape Rooms gewährt. Die Reise in die Vergangenheit führte die Gruppe auch auf die Wewelsburg (siehe Bericht Folgeseite) und in das Stammlager VI K (326) in der Senne, das im zweiten Weltkrieg als Kriegsgefangenenlager genutzt wurde. Ein Kunstprojekt, das von dem Kunstlehrer Valerij Klein betreut wurde, machte es den Beteiligten möglich, die vielen neuen Eindrücke zu verarbeiten. So hatten sie Gelegenheit, nach einem Austausch über Grenzen und Einschränkungen Türen zu bemalen und ihre Gedanken künstlerisch festzuhalten. Weiterhin gab es die Möglichkeit zu Gesprächen beim gemeinsamen Essen und Sport.
Der Austausch hat bewirkt, dass die neu angelaufene Partnerschaft gestärkt wurde und sowohl bei SchülerInnen als auch Lehrkräften der Wunsch nach einer Vertiefung der Beziehung entstanden ist.
Nadja Geck/Eberhard Neuser
Der LK Geschichte besucht mit seinen litauischen Gästen die Wewelsburg
Der Gedanke ist absolut befremdlich und auch gruselig: Wenn Nazi-Deutschland den 2.Weltkrieg gewonnen hätte, dann…ja dann lebten wir heute hier in Detmold nur 55 Kilometer vom Mittelpunkt eines von der SS beherrschten Weltreiches und dem „Zentrum einer artgemäßen (d.h. antichristlichen) Religion“ entfernt, der Wewelsburg bei Büren. Genau dieser (Größen-)Wahnsinn war der Plan des Reichsführers SS, Heinrich Himmler, der mit seiner Organisation für die Vernichtung von Millionen von Juden in Europa verantwortlich ist. Hierzu sollten das Renaissanceschloss der Paderborner Bischöfe zu einer Burg gigantischen Ausmaßes umgebaut und die Dorfbewohner umgesiedelt werden. Zunächst war eine Schulungsstätte und ein Versammlungsort für SS-Führer geplant, inklusive des Um- und Ausbaus des großen Nordturms zu einer Kultstätte mit germanisch-heidnischer Ornamentik und einer „Gruft“ zur Beisetzung von SS-Obergruppenführern. Zur Durchführung der damals aktuellen und geplanten Bauarbeiten in der Nähe des Dorfes Wewelsburg wurde das Konzentrationslager Niedernhagen eingerichtet. Von 1939 an mussten die Häftlinge nach der Vorgabe „Vernichtung durch Arbeit“ mit primitiven Werkzeugen und oft mit bloßen Händen das Schloss zu einer Burg umbauen und die „Gruft“ (= einen besonderen Kultraum) aus dem Fels kratzen und hauen. Sie bekamen selten genug zu essen und wurden abends im Lager oft noch bestraft und gequält. Bis zur Auflösung des KZ und der Einstellung der Bauarbeiten 1943 überlebten von 3900 nachgewiesenen Häftlingen - politischen Gegnern und sehr vielen Zeugen Jehovas, die wegen der Verweigerung des Militärdienstes inhaftiert waren - 1285 Menschen die menschenunwürdige Behandlung nicht.
Der Leistungskurs Geschichte und seine litauischen Gäste besuchten die heutige Erinnerungs- und Gedenkstätte Wewelsburg und erfuhren auch, dass heutzutage leider wieder Menschen die Geschichte verharmlosen, Rechtsextreme sich mit der SS-Ornamentik schmücken, Esoteriker und Anhänger neugermanisch-heidnischer Religionen sie als angebliche „Kraftzeichen“ verehren. So wurde den Schülerinnen und Schülern deutlich, dass wir alle dafür eintreten müssen, dass sich dieser Teil der deutschen Geschichte niemals wiederholt.
Winfried Hufen